Wer noch nie verliebt war, wird nicht verstehen, was es heißt, wenn Pablo Neruda in einem seiner Liebesgedichte sagt: „Heut nacht kann ich die trübsten, traurigsten Verse schreiben. Ich liebte sie und manchmal hatte auch sie mich gern.“
Neruda war 20 Jahre alt, als er Gedichte über die Liebe schrieb, die später fast ganz Chile auswendig aufsagen konnte. Sie sind rein, sinnlich, sehnsüchtig, voller Bilder und Wortspiele. Gedichtet in einer Zeit, als Neruda noch nicht von Reisen, Politik und der sogenannten reifen Liebe geprägt war. Sie sprechen jedem Liebetrunkenen aus der Seele und zählen zu dem schönsten, was Sprache bisher hervorgebracht hat. Pablo Neruda ist in seinem Frühwerk etwa wie der Hohepriester der Liebe, natürlich nur für alle, die keine Angst vor den ganz großen Gefühlen haben. In diesem Jahr wäre der wortgewaltigste chilenische Dichter und Nobelpreisträger 100 Jahre alt geworden.
Vor 80 Jahren wurden „Die zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung“ veröffentlicht, die nun im vorliegenden Gedichtband neu erschienen sind zweisprachig, in spanisch und deutsch. Darüber hinaus macht der Flamencogitarrist, Komponist und Sänger Jörg Hofmann mit seiner Gruppe Madrugá Flamenca das Buch hörbar.
Angesteckt vom Atem des sprachlichen Meisters Neruda, werden auch wir hineingezogen in eine ruhige musikalisch-literarische Brandung, bestehend aus spanisch gesungenen Liebesliedern, deutsch rezitierten Gedichten, lateinamerikanischen Rhythmen und Reizen aus der Flamenco-Welt.
Ein kleines Kunstwerk in achzehnmalzwanzig Zentimetern in Musik und Wort. Wenn es Pablo sehen und hören würde, er wäre begeistert. Aber er muss sich da „oben“ so als Prominenter bestimmt wieder selber zitieren: „Ich will mit dir machen, was der Frühling mit den Kirschbäumen macht.“
Anda – Zeitschrift für Flamenco, 10/04