Der Flamenco entstand im 15. Jahrhundert, als indische Roma in Andalusien einreisten. Er ist stark geprägt von verschiedensten orientalischen und südeuropäischen Musikstilen und hat sich über die Jahrhunderte hinweg ständig verändert. Den Flamenco zu verändern und ihn ohne Klischees zu reproduzieren, das hat sich auch die Gruppe madrugá flamenca zur Aufgabe gemacht. Seit acht Jahren gibt es die Formation um die beiden Freiburger Sybille Märklin und Jörg Hofmann und getrost kann man sie zu den innovativsten Flamencoformationen Deutschlands zählen. Ihre neue CD ist ein Konzeptalbum zum Thema Wasser. Es verbindet den traditionellen Flamenco mit verschiedenen anderen Musikstilen und dafür wurde madrugá flamenca nun mit dem diesjährigen Freiburger Zeltmusikfestival-Preis ausgezeichnet. Sandra Helmeke mit einem Portrait:
Fingerschnipsen, Körpertrommeln und Füßeklappern – schon die Anfangsnummer des aktuellen Bühnenprogramms von madrugá flamenca erinnert mehr an zeitgenössischen Tanz als an die bekannten Klischees rund um Kastagnetten und Heißblütigkeit.
Sybille Märklin: „Das ist ein Gewitter – es beginnt mit dem ersten Regentropfen, dann kommt der zweite dazu und wir setzen es auf unsere Art um, wie man im Flamenco eben Töne produziert – mit Schnipsen und mit Körpersounds – und dann verdichtet es sich, wie bei einem richtigen schönen Sommergewitter.“
Grundlage des Bühnenprogramms ist die neue CD ¡AGUA!. ¡Agua! rufen flamencos, wenn sie begeistert sind: Bring mir Wasser, das ist so heiß, ich muß trinken! Und das Thema Wasser taucht auch im traditionellen Liederrepertoire des Flamenco immer wieder auf, hat Jörg Hofmann herausgefunden:
„Wasser spielt in den Flamenco-Letras, also in den Strofen des Flamenco eine sehr wichtige Rolle in verschiedensten Formen. Es geht um Tränen, es geht um Regen, es geht um Gewitter, um das Meer, um die Flüsse,… Und da gibt es ganz viele Bilder in den Flamencostrophen, die mit Wasser zu tun haben – viel mehr übrigens als Bilder, die sich aufs Feuer beziehen.“
Mit großem kompositorischem Geschick hat Jörg Hofmann einzelne historische Strofen extrahiert, neu arrangiert und so aus Tradition etwas völlig Neues gemacht. Sybille Märklin übersetzt seine Wassermusik mühelos in Tanz, denn, sagt sie, Wasser ist so vielseitig, wie der Flamenco selbst:
„Wasser ist weich und zart und genauso wild und zerstörend – einfach wahnsinnig lebendig und das ist das, was der Flamenco eben für uns auch ist.“
Gerade in der rasanten Abfolge von weichen und abrupten Bewegungen beweist sich Sybille Märklins Talent. In ihren Tanz mischen sich auch Elemente aus dem Modern Dance. Jung und frisch wirkt das, und unglaublich mitreißend. Kennen gelernt haben sich Sybille Märklin und Jörg Hofmann beim Literaturwissenschaftsstudium in Freiburg. Beide sind Anfang dreißig, schmal und dunkelhaarig und waren schon früh flamencobegeistert. Sie seit einem Volkshochschulkurs, er seit Paco de Lucía. Das Studium haben die beiden noch abgeschlossen, dann aber ging es in die Flamencozentren Sevilla und Madrid. Sie ließ sich im Tanz ausbilden, er an der Gitarre und im Gesang.
So akademisch Jörg Hofmann bei der Auswahl der Texte für ¡Agua! vorgegangen ist, seine Musik wirkt kein bisschen verkopft. Sehr virtuos spielen seine Gitarre, Jörg Benzings Querflöte und Markus Lechners Kontrabass mit Einflüssen aus Folk, Jazz, Klassik und Rock. Den Flamenco nicht zu konservieren sondern zu verjüngen, das ist das Konzept von madrugá flamenca.
„Der Flamenco lebt ja noch, es ist ja kein totes Fossil aus dem Mittelalter, sondern er entwickelt sich jedes Jahr weiter. Ein junger Mensch, der sich für Flamenco interessiert, hört natürlich auch andere Musik, Rockmusik, Hiphop, Klassische Musik und so weiter und das alles fließt auch in den Flamenco ein und das ist das Tolle am Flamenco. Man kann ihn nicht festhalten und sagen, das ist jetzt Flamenco, denn in einem Jahr wird es schon wieder anders sein.“
SWR 2 Kultur 7/08
Folker, 9/08