„El tiempo es un pajarillo verde“ vom Ensemble madrugá flamenca
Was haben Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe oder Pablo Neruda mit Flamenco zu tun? Nicht viel möchte man meinen. Mit der Auffassung des Ensembles madrugá flamenca vom Flamenco jedoch viel. Einen ganzen Abend hatte das Freiburger Ensemble bereits dem chilenischen Dichter gewidmet und auch von Goethe ließ man sich früher schon einmal inspirieren. Sowohl „Wandrers Nachtlied“ als auch Nerudas „Pensando, enredando sombras“ haben nun Eingang in das neue Programm von madrugá flamenca gefunden. Es dreht sich beim Abend „El tiempo es un pajarillo verde“, der am 23. Juni im Großen Haus des Theater Freiburg Premiere hatte, alles um die Zeit. Um die fliehende Zeit, um Tageszeiten, die Zeit als Kreis und als jener grüne Vogel aus Jörg Hofmanns Gedicht, mit dem wir niemals Schritt halten können.
„El tiempo es un pajarillo verde – Die Zeit ist ein kleiner grüner Vogel“ hat dem neuen Programm nicht nur seinen Titel gegeben, es ist auch dessen sich wiederholendes Leitmotiv. Ein Vogelbauer aus Draht hängt links vom Schnürboden des Großen Hauses herab. Die Bühne ist blau beleuchtet, der leere Käfig ist angestrahlt. Jörg Hofmann spricht den Text auf Spanisch, im Verlaufe des zweistündigen Abends wird er ihn auch auf Deutsch vortragen.
Das Gedicht erzählt von der endlichen Lebenszeit, der der Mensch nie ganz Herr wird und dem Glück des Augenblicks. Sybille Märklin spreizt die Arme als imitiere sie den Flug der Vögel, einmal scheint es als berge sie in ihren Händen einen kleinen Vogel. Dann geht ihr rechter Arm ausgestreckt nach links, der Kopf folgt, kurz darauf schiebt sie ihn mit der Hand sanft in die andere Richtung als müsste sie zwei widerstrebende Bewegungen in sich vereinen. Die Schritte und Gesten der Tänzerin werden gelöster, freier und das Schlagzeug setzt ein.
Auftritte von madrugá flamenca sind immer auch Konzerte. Flamenco ist durch die Palmas und die Fußarbeit ein hörbarer Tanz, aber die Musiker Jörg Hofmann (Gitarre und Gesang), Jörg Benzing (Querflöte) sowie Markus Lechner (Kontrabass) und Patric Oliver Hetzinger (Perkussion) haben Freiraum für Soli und so dynamische Duos wie das von Hofmann und Hetzinger, der auch den Cajón spielt. Dies und ihre Offenheit gegenüber der Literatur, aber auch der Bildenden Kunst und zu anderen Tanzstilen haben ihren Status als innovatives Flamencoensemble weit über die Region hinaus gefestigt. Das liegt nicht zuletzt an Sybille Märklin und ihrem sehr ästhetischen und immer auch ein wenig theatralischen Tanz. Märklin ist nicht nur perfekte Körperbeherrschung und eine präzise Tänzerin, sie lässt auch das Fransentuch fallen, sobald sie es nicht mehr braucht und pfeffert die Kastagnetten in die Theatergasse. Märklin lässt im eleganten schwarzen Overall mit Rüschenhemd schöne Bilder mit Händen und Armen entstehen, tanzt kleine Drehungen und reagiert feinfühlig auf die Musik.
Das Glück ist kurz, aber im Theater Freiburg dauert es an diesem Abend gut zwei Stunden.
Kulturjoker, 7/11