Am 12. Juli wäre Pablo Neruda 100 Jahre alt geworden. 1924, im Gründungsjahr der Büchergilde, schrieb er seine Poemas de amor, die ihn schlagartig zum populärsten Dichter Chiles machten. Anlass genug für ein weltweit einmaliges Projekt: Die Büchergilde legt Nerudas Liebesgedichte neu auf – zusammen mit einer einfühlsamen Vertonung durch das Freiburger Ensemble Madrugá Flamenca. Nerudas Werk gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten der Weltliteratur (Literaturnobelpreis 1971). Allein, er teilt das Schicksal vieler Lyriker: Gedichte verlieren in der Übersetzung oft ihre Sprachgewalt, an poetischem Zauber. Entsprechend ist Neruda in Deutschland nicht ansatzweise so populär wie in seiner Heimat. In Chile ist Neruda ein Nationalheld. Als unerschrockener Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung wird er von seinen Anhängern geliebt und weltweit geachtet.
Es gibt aber noch einen anderen Neruda: den Verfasser leidenschaftlicher Liebeslyrik, dessen Gedichte, wie der chilenische Botschafter Mario Fernández im Grußwort schreibt, „Generationen chilenischer Jungen als sichere Formulierungshilfe für eine Liebeserklärung auswendig lernten“. Neruda erreichte das ganze Volk – seine zärtlichen und intensiven Gedichte sprechen eine Sprache, die jeder versteht. Zumindest jeder, der schon mal verliebt war. Bleibt die Sprachhürde. Die Übertragungen des Übersetzers Fritz Vogelgsang sind ausgezeichnet, im doppelten Sinne: Er wurde 2001 mit dem hoch dotierten Wilhelm-Merton-Preis geehrt.
Einen ganz anderen, sehr spannenden Weg der Übertragung ist Madrugá Flamenca gegangen. Das badische Ensemble mit südländischem Temperament verwandelte Nerudas Verse in Musik. Komponist und Sänger Jörg Hofmann: „Die Musik vermag es, dem Wort eine neue Dimension zu verleihen und auch der Stille, den unsichtbaren Bezügen zwischen den Zeilen ein Gewand zu geben. So gewährt sie dem Hörer auf anderer Ebene einen Zugang zu den tiefinneren Gesängen des Dichters Pablo Neruda.“ Zusammen mit den schwungvollen Zeichnungen von Nelson Leiva ergibt das Buch ein Fest der Sinne, in dem – wie Hofmann es ausdrückt – „Lyrik, Musik und Malerei über Sprachgrenzen hinweg verschmelzen.“
Man spürt die Kraft und die Leichtigkeit, die Reinheit und die Unbändigkeit der Liebe, wie sie Neruda einzigartig in Worte fassen konnte, man bekommt einfach Lust… Ein Werk für Verliebte, das man auch ausgezeichnet zu zweit geniessen kann – es verzückt, denn wie Neruda sagt: Es genügt mir ein Wort dann, ein Lächeln nur, ein kleines. Und ich bin fröhlich, fröhlich, dass ich dich bei mir habe.
Büchergilde Magazin, 7/04