Die Familie

Sybille Märklin, Jörg Hofmann und Jaron

Nach fünf Flamenco-Produktionen in sieben Jahren: madrugá (2000), momentos (2002), encuentros – flamenco y jazz (2003), poemas de amor (2004) und ¡Agua! (2007), vollendeten sie am 27. Dezember 2008 wohl ihre bislang wichtigste „Produktion“, nämlich Jaron.

Sybille Märklin und Jörg Hofmann aus Freiburg sind seitdem nicht mehr nur madrugá flamenca – sondern eine richtige Familie. Und Jaron, ihr kleiner Sohn, gedeiht prächtig. Wie verändert sich das Leben mit Kind? Welchen Einfluss hat es auf die Kunst? Ralf Bieniek zeichnet um die Weihnachtszeit ein Portrait der Familie und hofft, dass sich auch andere junge Flamencofamilien darin wiederfinden.

Mit Superlativen beschreiben viele Eltern die Geburt ihres Kindes. Warum soll es bei Sybille und Jörg auch anders sein. Was eignet sich besser für überscwängliche große Worte als die Geburt eines Kindes? Schließlich war Jaron zu 100% ein Wunschkind, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sybilles Augen bekommen so einen Glanz: „Ich empfand grenzenlose, tiefe, unbedingte Liebe und unendliche Dankbarkeit für solch ein kostbares Geschenk!“ Jörg überlegt auch nicht lange und ist spontan bei der Sache: „Bei mir stellte sich eine innere Glückseligkeit und das sichere Gefühl von Sinnhaftigkeit ein, hinzu kamen jede Menge körpereigene – daher legale – Rauschmittel. Da Jaron im Wasser auf die Welt kam, rief er als erstes laut: ¡Agua! oder so ähnlich.“

Und trotzdem, von einem Moment auf den anderen verändert sich plötzlich alles. Besonders die ersten Tage nach der Geburt drehen sich um ein neues Universum. Ob sie denn das Gefühl gehabt haben, mit der Geburt aus ihrem bisherigen Flamenco-Arbeitsalltag herausgerissen worden zu sein, frage ich. Jörg bejaht nachdrücklich: „Selbstverständlich. Sollte das jemandem nicht so gehen, empfehle ich dringend einen Arzt aufzusuchen.“ Und Sybille nickt vehement: „Wenn man mit einem so kleinen Menschen lebt, dan wird alles herum plötzlich unwichtig und die Zeit, die man zusammen verbringen kann, ist das Allerkostbarste. Da zieht man am Anfang die Flamencoschuhe nicht freiwillig an und es tut gut zu spüren, dass es noch Wichtigeres im Leben gibt als Flamenco.“

Jörg hat seinem Sohn nach der Geburt ein Gedicht von Mascha Kaléko gewidmet, mit der Textzeile: „Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn…“ Mich interessiert, welche seiner Charaktereigenschaften und Einstellungen er gern in seinem Sohn wiedergespiegelt sehen möchte: „Diese Welt braucht einfach mehr kühne Träumer, Menschen mit Herz und Mut, die ihre Visionen leben…“ Sybille mischt sich ein: „Die von Dir zitierte Textzeile geht ja noch weiter: ‚…verschlossne Tore aus den Angeln heben. Wirst ausziehn das gelobte Glück zu schmieden, Dein Weg sei frei…‘ Die Freiheit voranzuschreiten, ohne sich von außen Grenzen auferlegen zu lassen, die Energie, seinem Weg sorglos zu folgen und das Selbstbewusstsen, das auch gegen auferlegte Widerstände zu tun, das wünschen wir ihm sehr.“

Sybille tanzte noch im 7. Schwangerschafts-Monat. Mutter wie Kind genossen es scheinbar. Als Jaron knapp 3 Monate alt war, sand sie bereits wieder auf der Bühne: „Getanzt und unterrichtet habe ich also bis unmitelbar vor der Geburt, das tat mir und meinem Körper einfach gut und war besser als auf dem Sofa zu sitzen und Pralinés zu futtern“, sie lacht und sieht blendend aus. Etwas ungläubig rechne ich zusammen: Die Flamencopause dauerte insgesamt also nur 5 Wochen. Aber klar, denn zwei Monate nach der Entbindung begann Sybille als Ausgleich zu ihrem normalen Tanz-Training mit der ganzheitlichen Trainingsform Pilates, deren Schwerpunkt auf der tiefen Bauch- und Beckenbodenmuskulatur liegt. Und zusätzliche Energie brachten die Ensembleproben mit Jaron im Tragetuch. Sybille erinnert sich: „Das Geschaukel kannte er schn aus dem Bauch und ist immer ganz ruhig geworden und oft beim größten Tohuwabohu um ihn herum eingeschlafen… Da braucht man dann kein extra Konditionstraining mehr“.

Sybille und Jörg unterrichten jetzt wieder ihre laufenden Klassen, geben Workshops und Einzelstunden und treten auf. Die Organisation ist komplexer geworden, so dass die Logistikliste für Auftritte unter anderem um Tragetuch und Windeln ergänzt wurde. Ruhiger treten, daraus wurde und wird nichts. Jörg macht den Coolen: „Unter unseren botas sind verdammt laute Nägel.“ Und Sybille klinkt sich ein: „Bisher haben wir uns immer schon viel Zeit bei der Entwicklung neuer Ideen und Projekte gelassen und nichts aus dem Boden gestampft. Jörg war nach der Geburt so produktiv wie noch nie und hat wie ein Wilder geschrieben und komponiert… Jetzt schwirren so viele neue Projektideen um uns herum, dass wir gar nicht wissen, was wir zuerst realisieren wollen… Aber alles zu seiner Zeit. Das hat uns unser Sohn gleich als Allererstes beigebracht.“

Immer wieder Jaron. Deshalb interessiert mich brennend, wer was bei der Erziehung des hoffentlich lernwilligen Zwerges übernimmt. Jör lacht und sagt: „Sybille drillt Jaron im Tanz, ich kümere mich um sein Gitarrenspiel. Das ist gar nicht so übel: Man muss nicht so oft die Saiten wechseln. Im Windeln bin ich mittlerweile sowieso besser“. Sieht fast so aus, als würde Jaron ein Flamencokind werden. Sybille und Jörg selbst sind ja in ihren Familien regelrecht mit klassischer Musik gefüttert worden. Während ich noch meine Frage konstruiere, sinniert Jörg bereits: „Hm, ein Flamencokind…? Klar, die Bissspuren seiner ersten Zähne im Holz meiner Gitarre zeugen von seiner Liebe zu diesem Instrument, Palmas hat er gelernt, wobei er im Moment noch seinem inneren Compás folgt und wenn er tanzt, dann schüttelt er wild den Kopf, sowie alles, was da noch dran hängt. Aber ein Flamencokind…? Wir teilen einfach unsere Welt mit ihm, reden, singen, spielen, tanzen, lachen und weinen mit ihm… Paramilitärischer Flamencodrill à la „Farruco-Family“ oder ‚Paco de Lucía‘ mit Kindheitsraub inklusive emotionaler Verkrüppelung muss ja nicht unbedingt sein…“ Sybille schlägt in dieselbe Kerbe: „Meine Mutter hat vor einiger Zeit gesagt, Jaron sei ein „Zigeunerkind“, weil wir ihn überallhin mitnehmen – zu Konzerten und zum täglichen Unterricht – fast immer ist er mit von der Partie. Das Schlaflied-Repertoire besteht neben vielen Liedern durchaus auch aus Flamenco-Letras. Aber wir wollen ihn um Gottes Willen nicht zum Flamencokind machen. Außer Flamenco gibt es noch viele, viele andere schöne Dinge, mit denen man seine Zeit verbringen kann…“

Diese Aussagen wundern mich etwas, aber ich denke mir, dass alles schon so kommen wird, wie es kommen muss und frage Sybille, ob sich denn die Sicht auf den Flamenco, ihr Tanz, die Tiefe darin, mit der Geburt des Sohnes verändert hätte? Sie bejaht augenblicklich: „Ich habe etwas geschenkt bekommen, ohne hartes Training und Entbehrungen, was ich lange Jahre im Flamenco gesucht habe: Mehr Tiefe, mehr Reife, mehr Genuss, mehr Weiblichkeit, mehr Erdung und Vertrauen und noch mehr Entspannung. Dinge, die sich auch selbst durch intensives Training nicht erreichen lassen, sondern die einem nur das Leben schenkt.“

Soll noch ein Schwesterchen kommen? Jörg scheint nicht abgeneigt. Er antwortet kurz und männlich: „Jaron würde sich bestimmt sehr über ein Schwesterchen freuen, er liebt andere Babys.“ Sybille sagt mehr zum Thema, ist ja schließlich auch eine Frau: „Aber gerne doch, si dios quiere! Als wir auf der Suche nach einem Namen auf ‚Jaron‘ gestoßen sind, hat uns neben dem Klang auch die Bedeutung sehr gut gefallen. Im Hebräischen bedeutet Jaron ‚der vor Freude Singende‘, im Slawischen heißt es ‚der Freude bringt‘ oder ‚der glücklich ist‘. Da ist ja dann für jeden etwas dabei und wir dachten, dass uns als Gitarrist und Tänzerin jetzt noch ein kleiner Sänger fehlt. Mit Jaron wäre also das traditionelle Flamenco-Cuadro mit Gesang, Tanz und Gitarre zwar jetzt schon gesichert, aber über weitere Verstärkung des Ensembles würden wir uns sehr freuen.“ Ich schaue in die Gesichter und vermisse ein wenig Stöhnen und Nörgeln. Schließlich schlafen die Zwerge nicht gleich ab der ersten Nacht durch. Ist ja wohl auch ganz normal, dass man mal auf den Gedanken kommt, alles hinzuschmeißen, weil man plötzlich so viel mehr Schlaflosigkeit und Verantwortung besitzt und das „frohe Jugendleben“ vor der Haustür bleibt. Aber Jörg schüttelt entschieden den Kopf: „Klares Nein. Vielleicht wird das mal noch anders, aber bis jetzt ist jeder Tag ein Fest! Die Kinderbetreuung gleichmäßig unter uns zu verteilen, um auch immer wieder Zeit für sich zu haben, ist uns wichtig und funktioniert in unserer beruflichen Konstellation sehr gut. Dann freut man sich immer, den Kleinen wiederzuhaben und ihm scheint die Abwechslung auch zu gefallen. Sollte einer von uns also mal Lust auf „frohe Jugendleben“ haben, so steht dem nichts im Weg, außer vielleicht der Tatsache, dass wir keine 18 mehr sind.“ Sybille legt einen Finger an ihre Lippen und wirkt etwas nachdenklicher, aber einen Moment später sagt sie ganz klar: „Es gab und gibt durchaus Situationen, wo ich an meine Grenzen stoße, aber ich habe Jaron noch nie als Belastung empfunden. So ein kleines Wesen beschenkt einen so reich, das ist in Gold nicht aufzuwiegen.“

Die Flamencopause von madrugá flamenca dauerte also alles in allem nur etwa 5 Wochen. Das ist eindeutig zu kurz für die ultimative „Comeback-Story des Jahres“. Dennoch laufen die Kreativleitungen gerade auf Hochtouren und voraussichtlich im Laufe des kommenden Jahres wird der Nachfolger von ¡Agua! präsentiert: Sybille wirft ein: „Wir haben auch wieder viel Lust auf eine Produktion in kleinerer Besetzung, in der Improvisation eine große Rolle spielt. Zudem planen wir weitere Kollaborationen mit Gastkünstlern, wie im Mai 2009 mit Leonor Leal und Tino van der Sman oder vor drei Jahren mit Mercedes Ruiz und Santiago Lara.“

Während der kleine Jaron gerade anfängt zu nörgeln, weil er scheinbar jetzt doch etwas mit der Gesamtsituation unzufrieden ist, will auch ich den Familienfrieden nicht länger stören, wünsche der Familie ein schönes Weihnachtsfest und frage beim Abschied die Eltern noch nach der Welt, die sie sich für ihren Sohn wünschen. Sybille hat Jaron auf dem Arm und spricht zu ihm: „Ich wünsche ihm ein liebevolles, warmherziges Umfeld, in dem er die Freiheit hat, Kind zu sein und behütet aufwachsen darf. Wenn wir nicht mehr so wichtig sind, wünsche ich ihm ‚compañeros del alma‘, die ihn auf seinem Weg begleiten und mit ihm gehen.“

Anda – Zeitschrift für Flamenco, 12/09