Flamenco ist heißblütiger Tanz begleitet von einem Latino an der Gitarre? Weit gefehlt. Das Freiburger Ensemble Madrugá flamenca zeigt mit seinem neuen Programm „¡Agua!“ am Wochenende im Stadttheater, dass Flamenco musikalisch und inhaltlich sehr viel mehr ist. Juliane Ried sprach mit Tänzerin Sybille Märklin und Gitarrist Jörg Hofmann.
Ticket: Madrugá flamenca – Was heißt das?
Sybille Märklin: Flamenco kommt aus Andalusien. „Madrugá“ ist die andalusische Form des spanischen Wortes „madrugada“, das heißt Morgendämmerung.
Ticket: Wie passt das zu Ihrem Ensemble?
Jörg Hofmann: Zum einen ist es eine Phase des Tages, in der man im Sekundentakt anderes Licht und eine andere Stimmung hat. Zum anderen bedeutet der Beginn des Tages einen Blick in die Zukunft. Wir versuchen auch möglichst viele Stimmungen zusammenzubringen an einem Abend und möchten neue Wege gehen.
Ticket: Was ist typisch für Flamenco?
Hofmann: Eine gewisse Rhythmik ist die Basis. Der Takt, die Energie im Flamenco ist sehr wichtig. Und eine emotionale Tiefe, eine Echtheit und Unmittelbarkeit. Flamenco ist eine eigene musikalische Sprache mit einem bestimmten Klang, einer Harmonik, die man sofort erkennt.
Ticket: Flamenco zeichnet sich durch die Elemente Gitarre, Gesang und Tanz aus, oder?
Hofmann: Ja. An diesem Dreigestirn orientieren wir uns auch. Aber wir machen genau das, was im zeitgenössischen Flamenco seit 30 Jahren praktiziert wird: die Öffnung zu anderen Stilen und Instrumenten. Zu unserem Ensemble gehören Schlagzeug, Querflöte und Kontrabass, aber sie sind Begleitinstrumente.
Märklin: Wir nehmen Flamenco als Grundlage und wollen die Grenzen ausloten. Auch andere Musikrichtungen können sehr „flamenco“ sein. Deswegen kommen auch unsere Kollegen teilweise aus ganz anderen Richtungen, aus Jazz, Klassik oder zeitgenössischem Tanz.
Ticket: Worum geht es inhaltlich bei Flamenco?
Märklin: Es gibt bestimmte Stile, „aires“ nennt man das. Aires sind zum Beispiel melancholisch, fröhlich, wild oder dramatisch. Es gibt eine ganz große Bandbreite von Gefühlsschattierungen innerhalb dieser Stile. Das ist es, was Flamenco im Grunde ausmacht. Wenn Sie mich fragen: Was ist der Inhalt von Flamenco, dann sage ich Ihnen: das Leben, alles.
Ticket: Sie singen auf Spanisch. Muss man die Texte nicht verstehen, um Flamenco zu verstehen.
Hofmann: Der Text ist nicht entscheidend. Es gibt Standards, die jeder kennt und mit veränderten Arrangements verwendet. Die Texte handeln von verschiedenen Gefühlen. Aber es geht beim Flamenco nicht darum, dass in einer bestimmten Srophe dies oder jenes passiert. Das ist uninteressant für den Flamenco-Künstler, er kennt eh alle Texte. Es geht um die Interpretation, darum, wie man das Gefühl ausdrücken kann, das die traditionelle Melodie beinhaltet.
Märklin: Ich lasse mich aber schon auch von den Texten inspirieren, wenn ich mir überlege, wie ich ein Stück interpretieren will.
Ticket: Ihr neues Programm heisst „¡Agua!“, also Wasser: Flamenco hat doch eher mit Feuer zu tun, oder?
Märklin: Dieses Bild vom leidenschaftlichen Temperamentgedöns wird leider immer noch über den Flamenco gelegt. Entstanden ist es wahrscheinlich mit den ersten Reisen nach Spanien in den sechziger Jahren. Eigentlich war Flamenco aber niemals nur laut und feurig. Das kann er sein. Aber Flamenco ist auch leise, traurig und fröhlich und leicht. Deshalb ist für uns „¡Agua!“ der Flamenco. Denn Wasser ist alles: Es zerstört und erhält, ist weich und hat Temperament.
Hofmann: Wasser ist vielseitiger als Feuer und als Element über alle anderen erhaben. Es kann das Feuer löschen, die Erde bewegen, sich den Wind zunutze machen. Unser Programm heißt „¡Agua!“, aber unser Ensemble beinhaltet symbolisch von vornherein alle Elemente: Die Gitarre ist das Wasser, der Tanz das Feuer, der Kontrabass die Erde und die Querflöte der Wind.
Märklin: Genau. Wir gehen ja keineswegs dogmatisch an die Sache heran. Wir wollen viele Aspekte und Stimmungen zeigen, eben auch, um das einseitige Bild vom Flamenco zu ändern.
Ticket: Wie setzen sie das Thema Wasser um?
Hofmann: Wir werden nicht die Bühne fluten, aber die Bühne stellt unter anderem Wasser dar. Wasserbilder sind zum Beispiel ein Sommergewitter oder Tränen. Es gibt einen politischen Ansatz: Wie geht man damit um, wenn kein Wasser da ist? Oder ein Stück, in dem das Wasser als Metapher für die Liebe dient.
Ticket: Ist beim Flamenco alles bis ins kleinste Detail geplant?
Märklin: Es gibt Momente, die sehr präzise geplant sind, weil sonst das Zusammenspiel schief geht und damit die Stimmung zerstört würde. Aber auf keinen Fall alles. Einige Stellen, vor allem beim Tanz, sind auch bei den Aufführungen improvisiert und jedes Mal neu vom Gefühl geleitet, das der Flamenco transportiert.
Badische Zeitung – Ticket, 4/07