Heute Abend beginnt in Freiburg das 26. Zelt-Musik-Festival. Wie immer wird auch dieses Jahr der ZMF-Preis vergeben, mit dem das Festival besondere kulturelle Leistungen würdigt, gleich zweimal sogar. Einen Ehrenpreis erhält Giora Feidman. Und der ZMF-Preis 2008 geht an das Freiburger Ensemble Madrugá Flamenca — ein Porträt.
Grund zur Freude gibt es genug. Auch wenn die „Flapo“ manchmal wettert, kann die Bilanz der letzten Dekade sich durchaus sehen lassen: Mehr als 200 Auftritte haben die Tänzerin Sybille Märklin, der Gitarrist und Sänger Jörg Hofmann und ihre Crew mit Bravour auf in- und ausländischen Bühnen gebracht. Eine ihrer drei CDs ist bereits vergriffen (ein Hörbuch mit Songs und Liebesgedichten von Pablo Neruda); ihr neues Freiburger Tanzzentrum La Soleá in der Lörracher Straße floriert prächtig — und nun auch noch der Preis des Zelt-Musik-Festivals!
Das Ensemble Madrugá Flamenca ist eine feste Größe im Kulturleben des Dreiländerecks, und Frontfrau Sybille Märklin macht eine prägnante Figur nicht nur auf sämtlichen Fotos, sie überzeugt mit Verve und interpretatorischer Brillanz.
Wer aber ist die „Flapo“? Märklin und Hofmann lachen. „Flamencopolizei“ hat das Paar die Gemeinde der Gralshüter des traditionellen Flamenco getauft, jene stets zensurbeflissenen Puristen, die immer schon ganz genau zu wissen meinen, wie „echter Flamenco“ sich anfühlt — und wie keinesfalls. „Echter Flamenco!“ — dabei sei der vermeintliche spanische Standard doch in permanenter Bewegung.
An ihr teilzuhaben, ist Sybille Märklins Wunsch, seit sie mit 17 Jahren in ihrer Heimatstadt Schwäbisch-Hall einen VHS-Kurs besuchte, glücklicherweise bei einer Lehrerin von überdurchschnittlichem Niveau. Silke Tünnermann aus Hamburg übertrug ihr den Flamenco-Virus, und als Sybille Märklin 1990 nach Freiburg kam, um Literaturwissenschaft und Sport zu studieren, wusste sie, dass es dabei kaum bleiben würde.
Die Reise ging weiter — nach Südwesten. In Sevilla gingen sie und ihr Freund und Kommilitone Jörg Hofmann — auch er längst im Flamenco-Fieber, seit er zum ersten Mal Paco de Lucia hörte — auf die Suche, natürlich nach den bestmöglichen Lehrern.
Abseits der Touristenschulen lernten sie bei Szenegrößen wie Mercedes Ruiz, Rafaela Carrasco und Santiago Lara — und blieben ganze neun Monate. Um zu erfahren, dass das Feld sich weitete, je tiefer man in es eindrang, zum „Universum Flamenco“ .
Zurück an der Dreisam wussten beide, dass sie keine Spanienklischees reproduzieren, sondern den klassischen Flamenco renovieren wollten, ihn verjüngen durch Einflüsse aus Jazz, Folk und Klassik. Der famose Querflötist Jörg Benzing, der zuvor noch nie etwas mit spanischem Tanz zu tun hatte, wurde als erster gewonnen, und warum nicht auch ein Kontrabass? Markus Lechner spielt ihn mit Bravour.
Und selbst Protagonisten des modernen Tanztheaters wie der Italiener Marco Volta ließen sich zu mehreren Gastauftritten begeistern. Schließlich entstanden, am Abend zu Ehren Pablo Nerudas (von der Hand Nelson Leivas), auf der Bühne sogar Gemälde. Des Guten zu viel?
„¡Agua!“ , der Titel ihrer jüngsten Produktion steht nicht nur für den Flamenco-üblichen Begeisterungsruf, wie bei diesem Ensemble oft vernehmbar, vielmehr ist er Programm: Grenzen sollen verschwimmen, nicht feste Regeln, sondern die Kraft der Verwandlung im Zentrum stehen. Und deren Quelle ist die pure Freude — am Ausdruckstanz, am Spiel, an der gekonnten Improvisation.
Wenn Madrugá Flamenca am kommenden Montag Ausschnitte aus ihrem Programm beim ZMF präsentieren und nach dem Konzert der Klazz-Brothers in der zweiten Hälfte des Abends mit kubanischen Perkussionisten auf musikalische Tuchfühlung gehen, wird sich abermals zeigen, wie elastisch der Begriff „Flamenco“ sein kann, bevor er ins Unverbindliche entschwindet. Da aber sei Sybille Märklin vor!
Badische Zeitung, 7/08